Klang und Kontemplation
Christine Ockenfels

Christliche Kontemplation

© Christine Ockenfels

„Geh in deinen eigenen Grund,
denn in deinem tiefsten Grund ist dein Sein und Gottes Sein
ein Sein."

Meister Eckhart

Bereits im Altertum kannte man Methoden der Entspannung und Selbstbeeinflussung, die nicht unmittelbar religiös geprägt waren. In den Sammlungs- und Meditationsmethoden unserer Zeit spielt der religiöse Aspekt ebenfalls eher eine untergeordnete oder auch gar keine Rolle. Die Übungspraxis wird hier immer in Verbindung mit einer bestimmten Methodik gebracht. Auch christliche Kontemplation kommt nicht ohne methodische Hilfen aus, die jedoch immer kritisch zu hinterfragen sind im Hinblick auf folgende mögliche Zielverfehlungen:
(nach Simon Peng-Keller in Einführung in die Theologie der Spiritualität)

Die methodischen Hilfsmittel können sich  verselbstständigen. Was als Hilfe und Vorbereitung für das Gebet gedacht war, wird, wie die Erfahrung zeigt, leicht zum Selbstzweck.

Die Gefahr einer neuen Form von Leistungsfrömmigkeit. Das meditative Üben kann zu einem mentalen und selbstzentrierten Aktivismus verkommen.

Die Wohlgefühle, die sich in körperlicher Entspannung und geistlicher Sammlung einstellen, können dazu verführen, in der Meditation solche Gefühle zu suchen und festzuhalten, statt sie als unverfügbares Geschenk zu empfangen und wieder loszulassen."

Der oben verwendete Begriff Zielverfehlung an sich ist widersprüchlich zur Ausrichtung in der christlichen Kontemplation. Hinter aller Vordergründigkeit ist das letzte Ziel Gott selbst. Am Anfang mag man das nicht unbedingt so erleben. Es ist auch berechtigt und in Ordnung, zunächst den Nutzen für sich selbst zu suchen. Wer beharrlich auf dem Weg bleibt, wird im Lauf der Zeit merken, dass er immer unabhängiger wird von den Gaben und Früchten, die sich durch die Kontemplation einstellen. Kontemplation ist dann tatsächlich mehr das Suchen nach Gott und das Vertrauen, dass uns alles, was wir wirklich brauchen, geschenkt wird. "Sucht sein Reich; dann wird euch das andere dazugegeben." (Lukas 12,31) Dies hat Jesus den Menschen nahe gelegt und auch vermittelt, dass dieses Reich Gottes in uns ist. Ich bleibe bei dem Gleichnis vom Schatz im Acker, das auf der Seiten Klang und Labyrinthwege angesprochen wird: "Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn und grub ihn wieder ein. Und in seiner Freude ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte den Acker." (Matthäus 13,44)
Der Schatz ist Christus selbst. Zu Lebzeiten hat er durch seine unzerstörbare Einheit mit der göttlichen Wirklichkeit, seinem Ursprung, die er Vater im Himmel nannte, die Menschen so sehr bewegt, dass sie nicht anders konnten als seine Nähe zu suchen und mit ihm zu gehen. Er hat die Menschen von ihrer Blindheit, ihrer Lähmung und Besessenheit geheilt. Heilung geschah durch die Kraft, die er aus der Einheit mit seinem Ursprung schöpfte.

Der Weg der Heilung geschieht im Innersten des Menschen. Teresa von Avila gebrauchte dafür das Bild der inneren Burg. Zu jeder Zeit erleben Menschen, die sich auf den kontemplativen Weg begeben und die erste Zeit der schönen, wohligen Erfahrungen hinter sich gelassen haben, das, was Teresa sehr anschaulich beschreibt: "Die innere Burg ist von dicken Mauern umgeben. Sie gleicht einem unübersichtlichen Labyrinth, dessen Eingang schwer zu finden ist. Der Weg zur Mitte verläuft nicht geradlinig. In vielen Windungen führt er durch Widerstände, Irritationen und Desorientierung hindurch. Selbst fabrizierte Idole blenden dich, bevor sie zerbrechen. Dahinter erheben sich Schatten, vor denen du fliehen möchtest. Hattest du davon geträumt, es würde stetig bergauf gehen, findest du dich unverhofft in einem dunklen Wald wieder. Du watest durch morastiges Gelände, suchst Orientierung und Halt. Du realisierst, dass du dich von dem, was dir anhaftet und dich niederzieht, nicht aus eigener Kraft zu entledigen vermagst." (Terasa von Avila in: Wohnungen der Inneren Burg)
Diese Ohnmacht will und muss ausgehalten und durchlebt werden in. Roger Schutz hat es einmal sehr tröstlich ausgedrückt: "Wenn wir Christus mit kindlichem Vertrauen in uns beten lassen, werden eines Tages die Abgründe bewohnbar sein. Eines Tages, später einmal, werden wir feststellen, dass sich in uns eine Revolution vollzogen hat."
(Roger Schutz in: Kampf und Kontemplation)
Den Weg dieser Revolution, der Transformation unseres Wesens wird uns insbesondere im Johannesevangelium offenbart. Wir müssen nur hinschauen und hinhören, dann mag sich uns die tiefe Weisheit und Wahrheit des Evangeliums erschließen. Es ist die eine Wahrheit, die auf der spirituellen Ebene alle Religionen verbindet. Es ist die Revolution der Liebe, die begriffen hat, dass Alle und Alles eins sind und niemand das Recht hat, sich über Andere zu erheben oder ihnen Gewalt anzutun.

Christliche Kontemplation steht im Deutungshorizont der Schrift, insbesondere der Evangelien. Sie berichten von Leben, Tod und Auferstehung Jesu und weisen in der Tiefe auf die mystische Gegenwart des kosmischen Christus hin. Zum Verständnis dieser andauernden Christus-Präsenz kann uns die Theologie der Spiritualität einen ganzheitlichen Zugang eröffnen. Sie erschließt die Quelle christlicher Spiritualität, vor allem die Erfahrung, dass die göttliche Geistkraft (Energie Liebe) sich heute wie damals vergegenwärtigt und sich in unserem Leben heilsam auswirkt. Dabei geht es nicht um die Erinnerung an das, was zur Zeit Jesu geschehen ist. Es geht um die Erfahrung der mystischen Einheit von Gott und Mensch, von Mensch und Schöpfung, um Einheit, Verbundensein mit Menschen, Tieren, Pflanzen, eben mit dem ganzen Universum. Uns wird die Möglichkeit geschenkt, an uns geschehen zu lassen, was die Menschen zur Zeit Jesu erfahren haben. Er, der kosmische Christus, der raum- und zeitlos gegenwärtig ist, will uns heilen von unserer Blindheit, Lähmung, Besessenheit und Selbstverliebtheit. So geht es nicht um ein Machen oder um heimelige Erfahrungen, sondern um ein Lassen und Aushalten. Das Einübung und Praktizieren von Achtsamkeit, Stille und Geschehenlassen führt uns schließlich mitten ins Leben, in eine wachsende Präsenz und Liebesfähigkeit. Das ist letztlich globale Friedensarbeit, die so dringend notwendig ist.

Für die Abschlussarbeit der Ausbildung zur Anleitung Christlicher Kontemplation hatte ich als Thema gewählt:
„Gib mir ein hörendes Herz“ Christliche Kontemplation - Im Lauschen auf den Klang des Rufes die Liebe finden. Geleitet hat mich dabei der Wunsch, zu erkunden, wie der Mensch im Hören auf den Klang die Liebe und darin seine persönliche Berufung (Lebensaufgabe) erkennen kann. Im Ausblick der Arbeit ist zu lesen: „In den Wochen, in denen ich das Thema und die Fragestellung meiner Arbeit erkundet habe, ist in mir eine Freude an der in allem klingenden Gegenwart Gottes gewachsen und die Dankbarkeit für die Aufgabe, mich mit den Phänomenen der Schöpfung, insbesondere mit dem Klang, zu beschäftigen. Zuweilen ließ mich die unermessliche Größe und Weite des Mysteriums erschauern, und die Unmöglichkeit, diese zu fassen, machte mich ratlos. Am Ende aber bin ich versöhnt mit den Fragmenten eines jeden Kapitels und staune über ein relativ gelungenes Zusammenfließen der mystischen Erfahrung verschiedener Autoren und Autorinnen. Im Zusammenklang haben diese einen kontemplativen Lebensweg erschlossen, der sich im Lauschen auf den Klang des Rufes entfaltet und den narzisstischen Egoisten in einen Menschen verwandelt, der mit „dienendem Selbstbewusstsein“ aus der Liebe des Schöpfers und im Einklang mit der Schöpfung lebt. Auf diesem Weg wird die kontemplative Haltung selbst zur Gegenwart Gottes im eigenen Herzen, dem Raum, in dem der Name Jesu Christi widerhallt.“
Die Kapitel der Arbeit beginnen jeweils mit einem Zitat aus der "Scala Divini Amoris", einer um 1300 in der Provence entstandenen Schrift, die uns einen Weg zu Gott erschließt, der über die sinnliche Wahrnehmung führt. Die fünf Sinne Schmecken, Spüren, Riechen, Lauschen, Schauen bilden einen kontemplativen Weg, auf dem sich Gottes Wirklichkeit stufenweise erfahren lässt. Wie aktuell und wegweisend die mystische Schrift Scala Divini Amoris für christliche Kontemplation und spirituelles Reifen ist, hat Simon Peng-Keller in seinem Aufsatz
Die Sinne als Stufen zur göttlichen Liebe ausführlich dargelegt.